Wer ist eigentlich die schweigende Mehrheit?

In unserer letzten Haustürbefragung zur Akzeptanz eines Solarparks waren 30% der befragten Haushalte für den Bau des Solarparks und 25% dagegen. Aber 55% der Befragten war der Bau des Solarparks entweder egal oder sie hatten keine Meinung dazu. 55% der Menschen, also eine Mehrheit im Ort, äußerten sich weder dafür noch dagegen. Wenn es also gelänge, diese bislang schweigende Mehrheit für das Projekt zu begeistern, hätten wir keine Akzeptanzprobleme vor Ort.

Doch die schweigende Mehrheit schweigt ja nicht, weil sie noch keiner nach ihrer Meinung gefragt hat, sondern, weil sie Gründe für ihr Schweigen hat. In unserem Blogbeitrag Warum die “Schweigende Mehrheit” schweigt? ging es vor allem um die Gründe. So spielen Desinteresse an diesem Thema und eine gewisse Vorsicht, sich in ein konfliktgeladenes Thema einzumischen, eine wichtige Rolle dabei, zu schweigen. Aber wer ist eigentlich die schweigende Mehrheit und welches Engagement ist von ihr zu erwarten?

Keine Zeit, kein Wissen, keinen Mut

Nach unseren Erfahrungen aus der Praxis fallen ganz unterschiedliche Menschen in diese Gruppe:

  1. Da ist als erstes die wahrscheinlich größte Untergruppe: diejenigen, denen das Thema egal ist, bzw. denen alles egal ist, was außerhalb ihres Gartenzauns geschieht.

  2. Dann gibt es diejenigen, die privat oder beruflich so eingespannt sind, dass sie keine Zeit haben, sich mit einem neuen Infrastrukturprojekt in Ortsnähe auseinanderzusetzen.

  3. Es gibt zudem viele, die die Woche über außerhalb ihres Wohnortes arbeiten und so keinen Bezug zu dem Konfliktthema vor ihrer Haustür haben. Zudem dürften Menschen dieser Gruppe am Wochenende auch gern ihre Ruhe haben wollen.

  4. Dann gibt es einzelne, denen das Wissen fehlt, um sich einmischen zu können.

  5. Es gibt Menschen, die sich aufgrund sprachlicher Probleme nicht einmischen. Meist handelt es sich um Flüchtlingsfamilien, die sowieso ganz andere Sorgen haben.

  6. Es gibt einzelne, die sich zu alt fühlen, um sich einzumischen, oder Menschen, die bald wegziehen.

  7. Und es gibt diejenigen, die eigentlich eine Meinung haben, die sich aber nicht trauen, diese in der Dorföffentlichkeit zu äußern.

Es ist also keineswegs eine einheitliche Gruppierung, die sich aufgrund ihrer Größe einer Bürgerinitiative entgegenstellen könnte. Vielmehr sind es viele einzelne Personen, die ihre Gründe haben, sich nicht einzumischen, bzw. die nicht in der Lage sind, sich einzumischen.

Keine Bedeutung für die Akzeptanz von Bauvorhaben

Ist denn von einer dieser schweigenden Gruppen ein Beitrag zu erwarten, der sich positiv auf die Umsetzung von Bauvorhaben auswirken könnte?

Von den Gruppen 3, 4, 5 und 6 ist mit Sicherheit keine Unterstützung des Projekts zu erwarten. Ihnen fehlt der Bezug, ein gewisses Grundverständnis ihrer Umwelt, ihnen fehlen sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten oder sie fühlen sich für das Thema nicht mehr zuständig.

Bei Gruppe 1 könnte man zumindest noch von denjenigen einen positiven Beitrag erwarten, denen nur das konkrete Thema egal ist. Hier wäre es wichtig, das Thema so zu verpacken, dass zumindest eine indirekte Betroffenheit hergestellt werden kann. Ein möglicher Ankerpunkt für ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr wäre, dass auch die Feuerwehr von den Geldern aus dem Solarpark profitieren würde.

Bei den stark eingebundenen Menschen aus Gruppe 2 handelt es sich grundsätzlich um die Engagierten, die aber bereits in vielen anderen Projekten engagiert sind. Aus dieser Gruppe könnte eine gewisse Unterstützung für das Projekt kommen, wenn die Beiträge zu handhabbaren “Portionen” reduziert werden, so dass sich niemand überfordert fühlen muss. Sie haben sicherlich nicht die Zeit, in einer Unterstützergruppe mitzuarbeiten, aber eine positive Haltung am Gartenzaun zu zeigen, das wäre durchaus möglich.

Am wichtigsten dürfte Gruppe 7 werden. Einerseits könnte man diesen Menschen zeigen, dass sie nicht allein sind, dass es im Dorf noch weitere Befürworter des Projekts gibt. Zum anderen könnte diese Gruppe eher im Hintergrund agieren, durch einen Anruf “Türen öffnen”. oder Informationen zum “Dorfklatsch” bereitstellen.

Es zeigt sich, dass zumindest ein Teil der vielgestaltigen schweigenden Mehrheit aktiviert werden kann. Mögliche Wege zur Aktivierung liegen darin, indirekt Betroffenheit herzustellen, Unterstützungsmöglichkeiten in unterschiedlicher Größe und einem unterschiedlichen Maß an Öffentlichkeit anzubieten oder ihnen Mut zuzusprechen.

Auf jeden Fall sollten wir nicht dem Irrtum erliegen, von den vielen Einzelakteuren, die akademisch zur schweigenden Mehrheit zusammengefasst wurden, wesentlich Beiträge zu erwarten, die die Akzeptanz eines neuen Infrastrukturprojekts sichern.

Mehr über dieses und viele weiteren Themen erfahren Sie in unserer Weiterbildung “Akzeptanzmanagement in Infrastrukturprojekten”.

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