Warum die “Schweigende Mehrheit” schweigt?

Egal, ob es Wohngebiete, Schulen, Straßen, Stromleitungen oder Windräder sind, Bauträger haben es heute nicht leicht, neue Infrastrukturprojekte umzusetzen. Oft ist es nur eine kleine, aber schlagkräftige Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich Bürgerinitiative nennen und einen gewissen Alleinvertretungsanspruch für die Bürgerschaft vor Ort suggerieren. Aber warum haben diese Wenigen so viel mehr Einfluss als die Mehrheit der anderen? Und warum sagen die nichts? Warum treten die nicht öffentlich für das Projekt ein? Ein Grund sich einmal mit der “Schweigenden Mehrheit” zu beschäftigen.

Tatsächlich ist die “Schweigende Mehrheit” erst einmal ein theoretisches Konstrukt. Im Bereich Windenergie z.B. gibt die Fachagentur für Windenergie jedes Jahr eine Umfrage zur Akzeptanz der Windenergie an Land in Auftrag. Darin wird beispielsweise gefragt, ob sich jemand für oder gegen Windenergieanlagen im Wohnumfeld engagieren würde. Im der Umfrage aus dem Jahr 2020 waren es 60% der Befragten, die weder für noch gegen Windenergie auf die Straße gegen würden. Diese Gruppe wird als “Schweigende Mehrheit” beschrieben. Das Erstaunliche ist jedoch, dass fast 80% der Befragten aus der “Schweigenden Mehrheit” der Windenergie positiv gegenüberstehen. Die Fachagentur Windenergie schließt daraus, dass es vor Ort ein großes Potenzial zur Mobilisierung von Unterstützern gibt, das nicht ausgeschöpft wird.

Allerdings ist es gewagt, auf Grundlage der Daten einer repräsentativ für Deutschland erhobenen Umfrage, darauf zu schließen, dass es in einem konkreten Dorf, in dessen Nähe ein Windpark entstehen soll, tatsächlich eine große Gruppe von Unterstützern gibt. Da die Umfrage repräsentativ für Deutschland ist, hat sie natürlich auch viele Menschen in den Städten einbezogen, die verständlicherweise eine ganz andere Sichtweise auf die Windenergie haben. Und sehr wahrscheinlich ist für diese Umfrage niemand aus unserem Dorf befragt worden. Aber nehmen wir einmal an, auch in diesem Dorf gibt es die große “Scheigende Mehrheit”, die das Windparkprojekt begrüßt, dann bleibt das Problem, dass es eben eben keine wirkliche Gruppe ist, die wie die Bürgerinitiative sehr laut und sehr aktiv für ihre Meinung eintritt.

Gründe für das Schweigen

Die Gruppe potenzieller Unterstützer gibt es also nur theoretisch. In Wirklichkeit sind das alles Einzelpersonen ohne klare Meinung pro Windenergie. Und diese Einzelpersonen schweigen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hier einmal ein paar Beispiele aus der Praxis:

  • Da gibt es den Dorfbewohner, dem eigentlich alles egal ist, was im Dorf passiert. Das gilt im negativen Sinne (z.B. Veränderung des Landschaftsbildes durch den Windpark) ebenso wie im positiven Sinne (z.B. mögliche Entschädigungszahlungen für das Dorf). Ein typischer Satz dieses Bewohners ist: “Solange die mir nicht die Grundsteuer erhöhen, interessiere ich mich nur für mein Haus und mein Grundstück und sonst nichts.”

  • Dann gibt es vor Ort viele Arbeitspendler, die in der nächsten Großstadt arbeiten und entweder erst spät abends oder nur am Wochenende zu Hause sind. Die Pendler verbringen viel zu wenig Zeit in ihrem Dorf, um wirklich mitzubekommen, was in ihrem Dorf passiert.

  • Und dann ist da noch die ehemalige Bürgermeisterin, die zwar für das Windprojekt ist, die aber öffentlich nicht dafür eintreten will, um es sich nicht mit den Nachbarn zu verscherzen. “Mit denen muss ich auch die nächsten Jahrzehnte noch auskommen.”

Christoph Ewen und Michel-André Horelt von Team Ewen fassen ihre Erfahrungen aus dem Projekt DezentZivil folgendermaßen zusammen: Unter den Einwohnern gibt es Menschen, die “passiv” schweigen. Das sind diejenigen, die nichts tun, weil es sie nicht interessiert (anderes ist wichtiger) oder sie nichts vom Thema mitbekommen haben. Und es gibt diejenigen, die “aktiv” schweigen. Diese Gruppe ist zwar grundsätzlich an dem Thema interessiert, schweigt aber, weil sie sich nicht zu einer Meinung durchringen kann oder weil sie sich nicht einmischen will bzw. glaubt, sich nicht einmischen zu brauchen. Und ganz ehrlich, wer streitet sich schon gern. Das Leben ist aufregend genug, da will man sich nicht auch noch wegen irgendeines externen Projekts mit den Nachbarn in die Haare bekommen.

Schweigespirale und Unterstützeraktivierung

Letztlich kommt aber noch die Zeit als weiterer Schweige-Faktor hinzu. Da die örtliche Bürgerinitiative weiterhin laut und aktiv gegen das Bauvorhaben zu Felde ziehen wird, wird das geplante Projekt nach und nach Thema für immer mehr Leute im Ort. Aber es kommt auch etwas ins Spiel, was in der Forschung “Schweigespirale” genannt wird. Menschen sind soziale Wesen und orientieren sich gern an der Meinung der Mehrheit, um nicht allein dazustehen. Dabei ist es egal, ob die Meinung, die als Mehrheitsmeinung wahrgenommen wird, tatsächlich von der Mehrheit vertreten wird oder eine lautstarke Minderheit nur den Eindruck hinterlässt, die Mehrheit zu repräsentieren. In dieser Situation neigen Menschen dazu, ihre eigene Meinung zu verschweigen. Laute Meinungsäußerungen auf der einen und Schweigen auf der anderen Seite setzen dann den Schweigespiralprozess in Gang und die einzelnen Befürworter des Bauprojekts ziehen sich nach und nach zurück.

Wenn man also tatsächlich etwas für ein Bauvorhaben tun will, reicht es nicht aus, auf die positive Haltung einer großen “Schweigenden Mehrheit” zu hoffen. Viel wichtiger ist es, die Unterstützer im Ort ausfindig zu machen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein mit ihrer Meinung sind, dass sie etwas bewirken können und dass, wenn nicht sie, niemand sonst ihre Haltung in der Öffentlichkeit vertreten wird. Mit dieser Unterstützergruppe gilt es dann gemeinsam Aktionen zu planen, mit denen man in der Öffentlichkeit pro Bauvorhaben eintritt - wir sprechen hier von Unterstützerkampagnen.

Zurück
Zurück

Das Visualisierungs-Dilemma

Weiter
Weiter

Akzeptanzmanagement statt Akzeptanzforschung!