Wo direkte Demokratie an ihre Grenzen kommt

Es herrscht Goldgräberstimmung in Deutschland. Jeder Acker ist eine potenzielle Fläche für einen Solarpark. Entsprechend viele Projektierer sind derzeit unterwegs, um sich Flächen zu sichern. Und bei den Preisen, die als Pacht pro Hektar bezahlt werden, blitzen bei Flächeneigentümern verständlicherweise die Euro-Zeichen in den Augen. Also eine klare win-win-Situation - wäre da nicht das Problem, das nach und nach riesige Flächen “verspiegelt” werden. Erste Gemeinden haben deshalb damit begonnen, Kriterien aufzustellen, wie groß der Solarpark maximal sein darf, wie weit er vom Ort weg sein muss, wie seine Ränder bepflanzt sein müssen usw.

Direkte Demokratie auf dem Dorf

Und manchmal findet man noch ein ganz besonderes Kriterium: Wenn die Bevölkerung den Solarpark mehrheitlich ablehnt, wird die Gemeindevertretung keinen Bebauungsplan aufstellen. Tolle Sache! Direkte Demokratie auf dem Dorf! Sollte man zumindest meinen?! Also zumindest aus Sicht eines Großstädters ist das toll. Doch aus Dorfsicht verheerend!!! Was auf den ersten Blick wie eine tolle Errungenschaft wirkt, fördert Unfrieden und Ungerechtigkeit in den Dörfern und bremst auch die Energiewende komplett aus.

Doch nehmen wir einmal die Lupe. Was passiert in einem Dorf, wenn direkte Demokratie in der Kriterienliste für Solarparks fest verankert ist? Dazu zwei Beispiele aus dem Norden von Brandenburg:

Gerade einmal 200 Leute wohnen in dem kleinen Dorf in der Prignitz. Eigentlich passiert hier nicht viel. Doch in den letzten Monaten schlugen die Wogen hoch. Inzwischen hat sich Resignation breitgemacht, das Dorf ist in zwei Lager gespalten und einzelne Familien sind komplett ausgegrenzt. Und alles nur wegen eines Solarparks! Nachdem die Gemeindevertretung die Anfrage eines Projektierers öffentlich gemacht hatte, ging es im Dorf nur noch darum Mehrheiten gegen den Solarpark zu organisieren, denn dann würde auch die Gemeindevertretung den Solarpark ablehnen. Also zogen Trupps von Anwohnern von Haustür zu Haustür und sammelten Unterschriften von jedem, der schreiben konnte. Und tatsächlich fand sich eine knappe Mehrheit gegen den Solarpark. Das wollte wiederum der örtliche Landeigentümer und frühere LPG-Vorsitzende nicht auf sich ruhen lassen, denn auf seinen Flächen sollte der Solarpark entstehen. Er organisierte eigene Trupps, die auf ein Neues durch den Ort zogen, an Freundschaften oder frühere Gefälligkeiten erinnerten und dann um eine Unterschrift baten. Und da einige Mitbürger sich “umstimmen” ließen, gab es letztlich eine knappe Mehrheit für den Solarpark. Inzwischen steht der Solarpark, aber auf Kosten des Dorffriedens.

Sozialer Druck schafft Mehrheiten

Jetzt könnte man natürlich sagen, hier ist etwas ziemlich schiefgelaufen. Aber nein, Kommunikation läuft im Dorf anders als in größeren Städten. Hier kennt jeder jeden - oft schon über Generationen! Und je nachdem, mit wem man gerade befreundet ist, wem man einen Gefallen schuldig ist, von wem man abhängig ist, unterschreibt man auf dieser oder eben der anderen Unterschriftenliste. So spiegelt die Anzahl der Unterschriften letztlich nicht den Willen des Volkes wider, sondern wieviel sozialen Druck die eine bzw. andere Seite auf die Einwohner des Dorfes ausüben konnte. Solche direktdemokratischen Kriterien fördern aber nicht nur dem Unfrieden im Dorf, sondern laden geradezu zu Ungerechtigkeit ein, wie das zweite Beispiel zeigt.

Im Landkreis Oberhavel, kurz vor der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern, ist ein ganzes Dorf neidisch - neidisch auf eine Agrarunternehmerin, die seit drei Jahrzehnten ackert, um ihr Unternehmen am Laufen zu halten. Und sie war erfolgreich! Im Dorf bleibt aber nur hängen: Na die kann sich ja alles leisten, während wir nicht wissen, wie wir unsere Stromrechnung bezahlen sollen. Nun wurde die erfolgreiche Agrarunternehmerin auch noch angefragt, ob auf ihren Flächen ein Solarpark gebaut werden könnte. Sie hatte nichts dagegen, aber das Dorf! Und dabei ging es den Leuten im Ort gar nicht um den Solarpark, den hätte man nicht einmal gesehen. Es ging nur darum, zu verhindern, dass die Unternehmerin noch mehr Geld verdient. Wieder zogen Bürgertrupps durch den Ort und sammelten Unterschriften. Und die Ablehnung des Solarparks war so eindeutig, dass die Gemeindevertretung das Solarprojekt ablehnen musste.

Sie sehen das Dilemma. Die Unternehmerin kann vorschlagen, was sie will, in diesem Dorf wird sie nie eine Mehrheit dafür finden. Denn es geht nicht darum, ob etwas sinnvoll ist oder ob das Dorf ebenfalls davon profitieren könnte. Es geht nur darum, ob jemand etwas aus der Perspektive der Dorfbewohner “verdient” hat oder eben nicht.

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Wer ist eigentlich die schweigende Mehrheit?