Das Visualisierungs-Dilemma

Wenn neue Bauprojekte anstehen, wollen Menschen wissen, was sie erwartet. Niemand kauft gern die Katze im Sack. Und auch Sie als Projektierer sollten ein Interesse daran haben, dass möglichst realistische Bilder Ihres Projekts, sich in den Köpfen von Anwohnern festsetzen. Denn in einer Situation der Unsicherheit schießen bei Betroffenen Befürchtungen ins Kraut. Und wenn Sie nicht selbst Bilder bereitstellen, liefert das Internet dem Suchenden unter Garantie Bilder, die seine schlimmsten Befürchtungen noch übertreffen.

Doch Vorsicht mit Vergleichen! Ein aus guter Absicht heraus getroffener Vergleich eines Umspannwerks mit einem viel größeren Windrad, kann schnell nach hinten losgehen. Ja, mit seinen 18 Metern Höhe hat das Umspannwerk nicht einmal ein Zehntel der Größe eines Windrads. Doch Sie wissen nicht, welchen Vergleich Ihr Gegenüber zieht. Und wenn er mit einem dorfüblichen Einfamilienhaus vergleicht, dann wäre das Umspannwerk etwas doppelt so groß und dürfte in der Phantasie Ihres Gegenübers ziemlich bedrohlich wirken.

Ein gutes Hilfsmittel sind Karten, die zeigen, wie weit der Schlagschatten oder der Schall einer Windkraftanlage reicht. Bei Informationsveranstaltungen scharen sich Menschen gern um solche Karten, um zu sehen, ob sie “betroffen” sind oder nicht. Aber auch Zeichnungen und fotorealistische 3D Visualisierungen, wie das Bauvorhaben nach seiner Fertigstellung in der Landschaft aussehen wird, helfen, die Vorstellung des Zielpublikums in die richtigen Bahnen zu lenken (hier findet sich ein Leitfaden zur guten fachlichen Visualisierungspraxis). Am besten ist es natürlich, Sie haben die Möglichkeit, zu einem Windpark ähnlicher Größe, zu einer Hochspannungsleitung in ähnlicher Entfernung zum Dorf etc. zu fahren, um Menschen die eigene Erfahrung zu ermöglichen. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass realistische Visualisierungen dabei helfen können, geplante Projekte anschaulicher zu machen (Hübner et al., 2018). Allerdings wirkt dieser Effekt nur in der Phase der Meinungsbildung.

Doch gerade professionell gestaltete und realistische Visualisierungen können ganz neue Probleme mit sich bringen. Kürzlich wurde ich in Niedersachsen als Konfliktmoderator zu einer Informationsveranstaltung hinzugezogen. In unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes soll ein Umspannwerk gebaut werden. Tatsächlich wurde ziemlich laut und heftig gestritten und ich hatte alle Hände voll zu tun, die Leute wieder auf die Sachebene herunterzubringen. Ein Punkt, der zu heftiger Aufregung führte, waren die eigentlich sehr schönen Visualisierungen, wie das Umspannwerk künftig in der Landschaft liegen würde. Der Vorwurf war: “Wenn ihr bereits fertige Bilder vom Umspannwerk habt, dann könnt ihr uns nicht erzählen, dass noch nichts entschieden ist!” Tatsächlich ist die Planung aber noch gar nicht so weit, es gibt sogar noch Gestaltungsspielraum. Aber überzeugen Sie mal Menschen, die sowieso schon misstrauisch sind.

Letzlich gibt es aber keine Lösung, die es allen recht macht. Denn es gibt tatsächlich Menschen, denen es hilft, wenn sie durch Visualisierungen die Chance bekommen, das Bauvorhaben in ihrer Vorstellung auf seine wirklichen Dimensionen herunterzubrechen. Aber es gibt eben auch andere Menschen, für die die realistische Visualisierung bereits ein schwerwiegendes Indiz dafür ist, dass schon alles entschieden ist. Warum, so der Gedanke, sollte sich der Projektierer die Mühe machen, solche Bilder zu produzieren, wenn angeblich alles noch offen sein soll. Wie man es auch dreht, aus diesem Dilemma werden Sie nicht herauskommen. Den einen hilft Visualisierung und deshalb sollten Sie dieses Tool weiterhin anbieten. Und gegenüber anderen hilft nur, immer wieder zu erklären, warum Sie für etwas, das noch nicht entschieden ist, solche aufwendige Visualisierungen einsetzen.

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Stimmen statt Stimmung

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Warum die “Schweigende Mehrheit” schweigt?