Dialog und Beteiligung müssen an den Bedarfen der Menschen ansetzen.

Neun Praxiserfahrungen für den Einsatz Dialog und Beteiligung (Teil 2)

Doch wo genau liegen die Bedarfe der Menschen und wer hat welchen Bedarf? Grundsätzlich lässt sich ja postulieren, dass die allermeisten Menschen gern Geld verdienen oder zumindest Geld einzusparen wollen. Und so entwickelten Projektierer und Betreiber von Wind- und Solarparks in den letzten Jahren verschiedene „Produkte“, wie jede und jeder im Ort persönlich von der sauberen Energieerzeugung profitieren könnte.

Gern werden der örtlichen Bevölkerung Strompreisermäßigungen angeboten, die allerdings auf sehr begrenzte Begeisterung stoßen. Denn die Nutzung dieses Produkts würde den Wechsel zu einem anderen Stromanbieter erfordern, und wer verändert sich in solchen Dingen schon gern. Zum anderen müsste sich der Wechsel wenigstens preislich lohnen. Da die örtliche Bevölkerung aber mehrheitlich konventionell produzierten Strom konsumiert, ist der Preisunterschied zum ermäßigten, aber grundsätzlich teureren Ökostrom nur noch marginal. Dieses Angebot trifft nicht den Bedarf, weil es bei minimalen finanziellen Gewinnen den mühsamen Wechsel des Stromanbieters erfordern würde. Bei einer Haustürkampagne fragten wir deshalb, was denn ein gutes Angebot wäre: „Kostenloser Strom direkt aus dem geplanten Wind- oder Solarpark!“ war die Antwort. Ja so einfach könnte es sein, die Menschen vor Ort hinter ein Projekt zu bekommen.

Aber auch Angebote, die der Gemeinde gemacht werden, treffen zwar die Vorstellungen der Gemeindevertretung, aber eben nicht die Bedarfe der Bürger. Und manchmal rufen größere Geldsummen, die über die „Energieumlage“ an die Stadt gezahlt werden können, bei der Bevölkerung eher Bestürzung aus – nämlich dann, wenn die Bürgerinnen und Bürger in der Vergangenheit schon mehrere Male erlebt haben, wie ihre Stadtvorderen Projekte in den Sand gesetzt haben.

Angebote können manchmal aber auch funktionieren, selbst wenn sie unter falschen Annahmen über die Bedarfe vor Ort entwickelt wurden. Ein Beispiel soll das untermauern:

Vor einiger Zeit sollten wir für einen Windpark-Projektierer eine Evaluation durchführen. Der Windprojektierer hatte in einem Dorf bei Neubrandenburg ein Carsharing-Projekt mit einem Elektroauto gestartet. Wir sollten hinterfragen, wie das Carsharing bei den Bewohnern der kleinen Gemeinde ankommt. Wir waren sehr skeptisch, warum in einem Ort, in dem jeder Haushalt mindestens zwei Autos hatte, sich jemand Gedanken über Carsharing machen sollte. In unserer Befragung wurden wir dann überrascht, weil das Teil-Auto wirklich gut von den Dorfbewohnern genutzt wurde. Die Gespräche zeigten aber, dass nicht die Idee von geteilter Mobilität für die gute Nutzung des Teil-Autos gesorgt hatte. Nein, die Bewohner rechneten uns ganz genau vor, dass sie mit dem Elektro-Teilauto, dessen Strom sie nicht zahlen mussten, preiswerter nach Neubrandenburg kämen als mit ihrem eigenen Auto oder mit dem öffentlichen Nahverkehr.

Der wahre Grund, das Teil-Auto zu nutzen, lag also nicht in dem Wunsch nach klimagerechter Mobilität, sondern in dem Bedürfnis nach preiswerter Mobilität. Das heißt dann aber auch, dass jeder andere Unternehmer, der sich dieses Projekt zum Vorbild nähme, den Menschen vor Ort ein preiswertes Mobilitätsmodell anbieten müsste, um erfolgreich zu sein. Möglicherweise entstünde quasi nebenbei auch ein wenig Klimabewusstsein, aber der Bedarf bei dem man ansetzen muss, um Verhalten zu ändern, liegt an einer ganz anderen Stelle.

Deshalb ist es so wichtig, nicht mit vorgefertigten Angeboten in einen Ort zu kommen, sondern mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen, zuzuhören, zu überlegen, wo liegen die wirklichen Bedarfe und erst dann passende Angebote zu entwickeln. Und oft muss es sich gar nicht um eine finanzielle Entschädigung handeln. Manchmal liegt der Bedarf der Menschen vor Ort auch einfach darin, dass ihnen jemand zuhört. Deshalb lohnt es, sich ein genaues Bild von der Situation machen – am besten über Interviews oder Gespräche an der Haustür.

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Akzeptanz ist eine Frage der Perspektive

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Dialoge und Beteiligung sind Mittel, um ein bestimmtes strategisches Ziel zu erreichen.