Bürgerkonferenz

Meinung bilden mit Qualität

Jede und jeder kennt die Meinungsumfragen zu neuen Produkten, zum Klimaschutz oder zum Wahlverhalten am nächsten Sonntag. Doch Meinungsumfragen erfassen in der Regel nur das Bauchgefühl der Menschen. Will man ein qualifiziertes Meinungsbild aus der Bürgerschaft z.B. zu Gesetzesinitiativen, Stadtentwicklungskonzepten oder neuen Technologien, sind Bürgerkonferenzen die Methode der Wahl.

Das Verfahren der Bürgerkonferenz ist eng an das Konzept der dänischen Konsensuskonferenzen angelegt. Gegenstand und Ziel solcher partizipativen Verfahren ist es, neue Technologien und wissenschaftliche Entwicklungen aus der Sicht informierter Laien bewerten zu lassen. Charakteristisch für solche Konferenzen ist der strukturierte Dialog zwischen Sachverständigen und Laien. Nach eingehender Vorbereitung während zweier Wochenenden befragt das Bürgerpanel während des sogenannten Konferenzwochenendes verschiedene Experten ausführlich zum jeweiligen Thema. Danach wertet das Laienpanel die Informationen und Meinungen aus dem Kreis der Sachverständigen aus und erarbeitet eine Stellungnahme, die dann in Form eines Bürgervotums am Ende der Konferenz veröffentlicht wird. Bürgerkonferenzen haben sich als eine robuste, zeitliche begrenzte und kostengünstige Variante einer diskursiven Entscheidungsfindung herausgestellt. Die bisherigen Erfahrungen mit diesem Instrument können nach einer empirischen Studie als überwiegend positiv gewertet werden.

Besonderer Wert wird darauf gelegt, Wissen zu vermitteln, Diskussionsräume zu öffnen, jedem Teilnehmer das Sammeln eigener Erfahrungen zu ermöglichen und der Gruppe ausreichend Gelegenheiten zur Standortbestimmung zu geben:

  • Wissen: Die Teilnehmer sollten bereits vor Beginn der Bürgerkonferenz einen ersten Überblick über das Thema bekommen. Fachleute liefern an beiden Vorbereitungswochenenden Einführungsvorträge zum Thema. Fortlaufend aktualisierte Listen mit Hinweisen auf zur Thematik gehörende Internetseiten unterstützen die Teilnehmer bei ihrer Suche nach Informationen.

  • Diskussion: Der Gruppe sollte es, neben der Vermittlung von Wissen, ermöglicht werden, ausführlich und breit über das Thema zu diskutieren. Daher sollte dem Dialog zwischen den Teilnehmern größtmöglicher Raum gegeben werden. Diskussionsrunden in kleinen Gruppen, zahlreiche Plenumsdiskussionen und Zeit für freie Gespräche unter den Teilnehmern sollten dafür eingeplant werden.

  • Erfahrung: Wenn irgend möglich, sollte den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben werden, eigene Erfahrungen mit der zu bewertenden Technologie zu machen. Prototypen und Experimente können diesen Prozess unterstützen. Bei Stadtentwicklungskonzepten lohnen sich auch Exkursionen in andere Städte.

  • Standortbestimmung: Neben der Information, der Diskussion und den direkten Erfahrungen über das und mit dem Thema sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre bis dahin gebildeten Meinungen einer Standortüberprüfung unterziehen können. Hierbei können Positionspapiere diverser Organisationen und direkte Gespräche mit unterschiedlichen Stakeholdern und Experten herangezogen werden.

In Anlehnung an dieses Modell fanden in Deutschland bisher mehrere überregionale bzw. bundesweite Bürgerkonferenzen zu den Themen Gendiagnostik, Stammzellforschung, Hirnforschung, Nanotechnologie und zur Wasserstoffmobilität statt. Anfang März 2021 starteten wir im Auftrag der Berliner Agentur für Elektromobilität mit der Moderation einer Bürgerkonferenz zum autonomen und vernetzten Fahren.

Das Grundkonzept der Bürgerkonferenz ist in den letzten Jahren an verschiedene Zielstellungen angepasst und dabei methodisch abgewandelt worden. So entwickelten wir daraus das Modell der Fokuskonferenz, das die Bürgerkonferenz um ein Wochenende verkürzt und so den persönlichen Aufwand für Bürger:innen und Expert:innen reduziert. Fokuskonferenzen wurden zum Thema CCS in Schottland und Polen erfolgreich umgesetzt.

Unter dem Namen Demarchiemodell wurden Bürgerkonferenzen auf einen größeren Teilnehmerkreis ausgeweitet, bestehend aus 150 per Zufall ausgewählten Teilnehmer:innen. Solche Demarchiemodelle werden bereits seit Jahren in Landesparlamenten erprobt. So zum Beispiel in Island bei der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes oder in Irland bei einer Stellungnahme zur Zulässigkeit der Ehe für Homosexuelle. Ähnliche Konzepte gibt es in Spanien, der Schweiz und Großbritannien oder im französischen Bürgerkonvent.

Auch Bürgerräte gehen auf das Modell der Bürgerkonferenz zurück. In Bürgerräten treffen sich immer andere Bürger:innen an zwei Tagen in verschiedenen Orten Deutschlands. Im Januar 2021 startete der 2. Bürgerrat in Deutschland, der die Rolle Deutschlands in der Welt bestimmen soll. Es wurden 5.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger angeschrieben und aus den Rückmeldungen 160 Teilnehmer ausgewählt. Am Ende der Diskussionsprozesse soll ein Bürgergutachten mit klaren Empfehlungen zur Rolle Deutschlands in der Welt stehen.

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Warum Scheinbeteiligung keine gute Idee ist