Brauchen Bürgerentscheide Grenzen?

Land kann man nur einmal nutzen. Und Land ist knapp in Deutschland. Da stehen dann plötzlich Ackernutzung gegen Gewerbegebiet, Spielplatz gegen Wohnungsbau, Wald gegen Windräder oder Strand gegen ein neues Hotel. In der Regel haben sowohl Gegner wie auch die Befürworter von Bauvorhaben meist sehr gute Argumente für ihre jeweilige Position.

In der schwäbischen Gemeinde Donzdorf z.B. argumentierten die Befürworter eines Gewerbeparks mit seiner Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung einer ganzen Region. Die Gegner des Projekts argumentierten mit unnötigem Flächenverbrauch. Nach längerem Streit kam es letztlich zu einem Bürgerentscheid, in dem die Bürgerinnen und Bürger abstimmen sollten, ob auf der bisherigen Ackerfläche ein Gewerbepark entstehen soll. Und die Bürger stimmten mit großer Mehrheit mit „NEIN“ zum Gewerbepark.

Nun war das aber eben kein normaler Gewerbepark, sondern ein interkommunaler, den Donzdorf mit drei Nachbargemeinden über viele Jahre abgestimmt hatte, um möglichst wenig Fläche zu verbrauchen und der Region eine wirtschaftliche Zukunft zu geben. Drei Viertel des Gemeinderats von Donzdorf hatten sich für den Gewerbepark ausgesprochen. Und bei der Kommunalwahl von 2019 warben die Parteien mit dem Gewerbepark und wurden gewählt.

Die Enttäuschung bei den Befürwortern des Projekts war deshalb groß. Lohnt es sich überhaupt noch, so fragten sie sich, systematische überörtliche Planung in Angriff zu nehmen, wenn am Ende in einem Bürgerentscheid über die Entwicklung eines gesamten Wirtschafts- und Lebensraums entschieden werden kann? Hier stehen kommunale Bürgerentscheide und ebenfalls demokratisch legitimierte regionale Planung im Widerspruch. Doch wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Unabhängig von den emotionalen Mobilisierungsstrategien, die im Vorfeld eines Bürgerentscheids eingesetzt werden, sind schon die Alternativen, die den Bürgerinnen und Bürgern zu Entscheidung vorgelegt werden, problematisch. Wenn es darum geht, zwischen Wald oder Gewerbegebiet, zwischen Spielplatz oder Wohngebiet, zwischen unverbautem Blick oder neuem Hotel zu entscheiden, dann darf sich niemand wundern, dass die Bürgerinnen und Bürger (ohne sich weiter informieren zu müssen) natürlich für die erste Option stimmen werden: Wald, Spielplatz, freier Blick. Denn das ist das, was sie verlieren, wenn ein Infrastrukturprojekt umgesetzt werden würde, dass sie nicht verantworten und bei dem sie auch nicht die Konsequenzen tragen müssen, wenn es nicht umgesetzt wird.

Anders wäre es, wenn der Stadt- oder Gemeinderat, der sich um die Zukunft des Ortes Gedanken macht, zu der Entscheidung kommt „Ja, wir brauchen ein neues Wohngebiet.“ Dann ist die Frage des „Ob?“ geklärt. Nach dieser Klärung sollten dann unbedingt die Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot geholt werden, um gemeinsam zu überlegen, ob das neue Wohngebiet mit Einfamilienhäusern oder Gemeinschaftsbauten bebaut werden soll, wo im Ort das Wohngebiet angesiedelt werden soll usw. Das kann ein zeitaufwendiger Prozess werden, aber am Ende wird es Bebauungsalternativen geben, mit denen der Bedarf eines neuen Wohngebiets erfüllt werden kann. Und genau zu diesen Alternativen lohnt es sich dann auch, einen Bürgerentscheid anzuberaumen.

So wichtig Bürgerentscheide als Instrument der direkten Demokratie auch sind, bei überörtlicher Planung sollten sie unbedingt in einen breiteren Beteiligungsprozess eingebettet werden. Die gewählten politischen Vertreter entscheiden über das Ob? eines regional bedeutsamen Projekts. Die Fragen nach dem Wie? und dem Wo? gehören dann in einen breiten Beteiligungsprozess. Und über die dort erarbeiteten Alternativen kann dann in einem Bürgerentscheid abgestimmt werden.

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