Wenn Bürgerdialoge mehr schaden als helfen

Um eines vorweg zu nehmen: Ich bin ein Fan von Bürgerdialogen. Ich glaube, dass Menschen überall in der Lage sind, in moderierten Dialogprozessen das Beste für die Zukunft ihres Ortes zu planen. Doch Dialoge sollten rechtzeitig stattfinden, bevor sich die Menschen vor Ort untereinander zerstritten haben bzw. einen gutmeinenden Projektierer zu ihrem Feindbild erkoren haben. Außerdem sollten Bürgerdialoge ausreichend Vor-Ort-Präsenz einplanen, weil wenn das Budget aus irgendwelchen staatlichen Fördertöpfen nur für 1-2 Dialogveranstaltungen reicht, sollte man sich die Mühe lieber komplett sparen, weil man ansonsten vor Ort mehr kaputt macht als hilft.

Lokaler Umgang mit Konflikten um Bauvorhaben

Während der erste Punkt sofort einleuchtet, führt der zweite Punkt meist zu Stirnrunzeln. Das ist verständlich. Schließlich geht man davon aus, dass es doch egal sein sollte, ob man vor Ort 1, 2 oder 5 Veranstaltungen durchführt, denn mit jeder Veranstaltung hilft man doch, etwas mehr Ordnung in das lokale Chaos zu bringen. Doch das genaue Gegenteil ist richtig! Wenn es vor Ort einen Konflikt um ein Infrastrukturprojekt oder Bauvorhaben gibt (und davon ist auszugehen, wenn öffentliche Institutionen oder private Projektierer mit Dialogangeboten vor Ort auftauchen), dann haben die Dorfgemeinschaften im Laufe der Wochen, in denen der Konflikt schwelte, auch Wege gefunden, um damit umzugehen. Tägliche Anfeindungen auf dem Weg zur Schule, zum Einkaufen oder zum Spazierengehen will niemand und hält auch niemand aus. Wenn irgend möglich blendet man den Konflikt aus. Man kehrt ihn unter den Teppich.

Dialoge, die nicht helfen

Und jetzt raten Sie mal, was passiert, wenn ein es gut meinendes Dialogteam voller Enthusiasmus in den Ort kommt und mit einer Dialogveranstaltung zur Befriedung des Konflikts beitragen will?! Genau, der Teppich, unter den all die persönlichen Anfeindungen mühsam gekehrt wurden, wird gelüftet und der ganze Krempel darunter wieder ans Tageslicht gebracht. Wenn Sie jetzt nicht ausreichend Zeit mitgebracht haben, um hier echte Aufarbeitung und gemeinsame Neuplanung zu betreiben, haben Sie nach dieser Dialogveranstaltung nicht einen einzigen Freund mehr vor Ort! Denn, Sie verschwinden wieder in Ihre Stadt, aber die Menschen aus diesem Ort müssen von neuem damit beginnen, alles was beim Zusammenleben im Dorf stört, wieder unter den Teppich zu kehren. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Ja das ist frustrierend, wenn Sie als Kommune nach langem Feilschen endlich das Geld für die Durchführung einer Veranstaltung zusammenbekommen haben. Aber sparen Sie sich das Geld lieber, wenn Sie nicht sicherstellen können, dass Sie zeitnah eine zweite Veranstaltung anbieten können, in der Sie damit beginnen, die Probleme genauer unter die Lupe zu nehmen, und eine dritte und vierte Veranstaltung, um mit den Menschen (und dem Bauträger) Lösungen für ein Bauvorhaben zu erarbeiten, die für alle Seiten tragbar sind.

Verantwortungsvolle Dialogangebote

Ich habe es mittlerweile zu oft erlebt, dass ich Dialogveranstaltungen moderiert habe, in denen es gelungen ist, die Skepsis vor Ort ein stückweit zu überwinden und eine neue Aufbruchstimmung zu entwickeln, und dann bekommt es die Verwaltung nicht hin, Zeit und Geld für Folgeveranstaltungen bereitzustellen. Ich habe es zu oft erlebt, dass unbegleitete Bürgerentscheide ganze Orte zerrissen haben und der Bürgermeister die notwendigen Dialoge, um “Sieger” und “Verlierer” wieder zusammenzubringen, aus Angst vor weiteren Konflikten unter den Tisch fallen lassen hat.

Denken Sie also bitte von Anfang an daran, wenn es um lokale Veränderungsprozess durch neue Infrastrukturprojekte geht (egal, ob schon ein Konflikt ausgebrochen ist oder nicht), Veränderung braucht Zeit und entsprechend viel Vor-Ort-Präsenz von Vorhabensträger und Moderation.

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Tipps aus der Akzeptanz-Praxis: Was tun, wenn die Infoveranstaltung aus dem Ruder läuft?

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Wenn durch gute Planung Verlierer-Regionen entstehen